Die Debatte über die Jugendkriminalität ist voll entbrannt. Vor allem nichtdeutschen Jugendlichen wird eine immer höhere Gewaltbereitschaft zugeschrieben. Nehmen die Straftaten von Jugendlichen wirklich zu? Welche Taten werden häufiger, welche weniger verübt? tagesschau.de hat Fragen und Antworten zusammengestellt.
Nehmen Straftaten durch Jugendliche zu?
Nein. Bis 1998 stieg die Zahl der tatverdächtigen Jugendlichen und Heranwachsenden nach der Polizeilichen Kriminalstatistik deutlich an. 300.000 Tatverdächtige zwischen 14 und 18 Jahren wurden damals registriert sowie rund 240.000 Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren und 150.000 Kinder. 2007 war die Zahl der tatverdächtigen Jugendlichen auf knapp 280.000 gesunken, bei den Kindern unter 14 Jahren um ein Drittel auf rund 100.000. Bei den Heranwachsenden gab es kaum Veränderungen. Verurteilungen gibt es bei Jugendlichen und Heranwachsenden in 20 bis 30 Prozent der Fälle.
Welche Straftaten haben zu- und welche abgenommen?
Laut dem zweiten periodischen Sicherheitsbericht der Bundesregierung sank in den vergangenen Jahren die Zahl von Tötungsdelikten und Raubtaten. Dagegen gab es rund ein Drittel mehr Ermittlungen wegen Körperverletzung und mehr Drogendelikte. Bei letzteren geht es meist um Cannabis. Der Anstieg der Gewaltkriminalität wird auch durch die jüngste Polizeiliche Kriminalitätsstatistik aus dem Jahr 2007 bestätigt.
Wie groß ist die Dunkelziffer?
Im Jugendbereich ist die Dunkelziffer besonders hoch. Einige Straftaten werden heute häufiger angezeigt - auch beispielsweise von jugendlichen Opfern. Das heißt jedoch nicht, dass ihre Zahl gestiegen ist. Möglicherweise gibt es nur eine Verschiebung vom "Dunkelfeld" ins "Hellfeld", wie die Statistiker sagen. Die Taten kommen also "ans Licht".
Wie verlässlich ist die Statistik?
Die Kriminalstatistik erfasst vor allem Tatverdächtige, nicht Verurteilte. Eine gestiegene Aufklärungsquote führt beispielweise zu mehr Tatverdächtigen. Zusammen mit den Daten aus Studien, Jugendbehörden und Schulen kann man allerdings immer bessere Aussagen über Jugendkriminalität machen.
Begehen Jugendliche mehr Straftaten als Erwachsene?
Ja. Gut 12 Prozent aller Tatverdächtigen sind Jugendliche. An der Bevölkerung in Deutschland haben sie aber nur einen Anteil von rund fünf Prozent.
Sind Straftaten typisch für eine jugendliche Phase?
Ja, das ist "normal". Ab einem Alter von zehn bis zwölf Jahren steigt die Quote der Tatverdächtigen in allen vergleichbaren Ländern an. Mit 17 bis 18 Jahren erreicht sie ihren Höhepunkt, ab 20 sinkt sie wieder. Die Straftaten sind meist leichte Delikte. 90 Prozent aller männlichen Jugendlichen haben laut Umfragen einmal Straftaten begangen.
Wer begeht welche Delikte?
Die Regel ist: Je jünger desto leichter das Delikt. Ladendiebstahl, Schwarzfahren oder Sachbeschädigung werden Kindern und Jugendlichen vorwiegend zur Last gelegt. In rund einem Viertel aller Fälle wird wegen Körperverletzung ermittelt.
Werden vor allem Ältere Opfer von Jugendkriminalität?
Nein. Die meisten Taten richten sich gegen Gleichaltrige. Nach einer Detailanalyse der Kriminalstatistik in Baden-Württemberg von 2002 waren knapp 60 Prozent der Opfer in den untersuchten Fällen von 14- bis 21-jährigen Tätern im gleichen Alter. Bedeutend häufiger werden Kinder und Jugendliche Opfer von erwachsenen Tätern.
Gibt es einen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen?
Ja. Vereinfacht gesagt: Geklaut wird in sehr jungen Jahren von Jungen wie Mädchen gleichermaßen. Männliche Jugendliche begehen aber grundsätzlich deutlich mehr Gewalttaten, mit zunehmendem Alter steigt der Abstand zudem noch an.
Wer fällt unter das Jugendstrafrecht?: Wer fällt unter das Jugendstrafrecht? Kinder unter 14 Jahren sind nicht strafmündig, danach gilt das Jugendstrafrecht. Gerichtsverfahren werden danach von einem speziellen Jugendrichter geführt. Auch Verfahren gegen Heranwachsende 18 und 21 Jahren werden grundsätzlich vor Jugendgerichten geführt. Dabei müssen die Richter die Reife des Angeklagten beurteilen und entscheiden, ob er noch unter das Jugendstrafrecht fällt.
Welche Rolle spielt die "Clique"?
Eine große. Der britische Autor Mark Warr hat es so ausgedrückt: "Der beste Faktor zur Vorhersage für kriminelles Verhalten ist die Zahl von straffällig gewordenen Freunden, die ein Mensch hat." Gewalt und Straftaten finden sich vor allem in Cliquen, in denen sich Jugendliche aus sozial schwierigen Verhältnissen zusammentun. Auch die Schulklasse ist übrigens eine Clique. Vom Verhalten der Mitschüler hängt beispielsweise auch ab, ob ein Jugendlicher seine "Täterrolle" weiter spielen kann.
Nimmt die Gewalt an den Schulen zu?
Verschärfte Meldepflichten, eine höhere Aufmerksamkeit von Behörden und Öffentlichkeit bringen zwar mehr Fälle ans Licht. Dennoch sank die Zahl der polizeilich ermittelten Straftaten an Schulen. Bundesweite Untersuchungen fehlen, einzelne Studien zeigen aber einen "allmählichen Rückgang" von Gewalt an Schulen.
Sind die Jugendlichen gewalttätiger geworden?
Trotz einer gestiegenen Zahl von Körperverletzungen legen Untersuchungen eher das Gegenteil nah. Zwar gibt es Unterschiede in den Regionen, aber die Tendenz zur Gewaltbereitschaft scheint zu sinken. Studien 2002 und 2005 in Greifswald, Duisburg, Münster, München und Stuttgart zeigten das im Vergleich zu 1998. Die höhere Zahl von Tatverdächtigen bei Gewalttaten wie Körperverletzung wird von den Experten eher durch mehr Anzeigen in diesem Bereich und einem genaueres "Hinsehen" auch der Behörden erklärt.
Sind ausländische Jugendliche wirklich gewalttätiger?
Die Debatte über die Jugendkriminalität ist voll entbrannt. Vor allem nichtdeutschen Jugendlichen wird eine immer höhere Gewaltbereitschaft zugeschrieben. Nehmen die Straftaten von Jugendlichen wirklich zu? Welche Taten werden häufiger, welche weniger verübt? tagesschau.de hat Fragen und Antworten zusammengestellt.
Zusammengestellt von Wolfram Leytz, tagesschau.de
Warum werden Jugendliche kriminell?
Persönlichkeitsmerkmale, wie etwa der unzureichende Umgang mit Konflikten, sind ein Grund. Das soziale Umfeld und die Entwicklungsmöglichkeiten sind allerdings besonders wichtig. Vor allem die Situation in der Familie gilt als einer der wichtigsten Faktoren für die Entwicklung von Aggression und der Neigung zu Straftaten. Opfer elterlicher Gewalt werden deutlich häufiger selbst zum Täter.
Werden Jugendliche mit Migrationshintergrund häufiger straffällig?
Ja, allerdings nicht so viel mehr, wie es die nackten Zahlen der Tatverdächtigenstatistik scheinen lassen. Die Polizeistatistik unterscheidet nach Deutschen und Ausländern. Ein Vergleich mit der deutschen Bevölkerung bleibt aber schwierig. Zum Beispiel waren 2005 22,5 Prozent aller Tatverdächtigen keine Deutschen. Der Ausländer-Anteil in Deutschland liegt bei 8,8 Prozent. Zu diesem Anteil werden allerdings Touristen und Illegale nicht gezählt, die in der Tatverdächtigenstatistik jedoch auftauchen. Ein Vergleich wird dadurch verfälscht. Dazu kommt etwa, dass hier lebende Ausländer häufiger in Städten wohnen und jünger sind – alles Faktoren, die auch bei deutschen Bürgern die Gefahr, kriminell zu werden, statistisch gesehen erhöhen.
Welche Möglichkeiten bietet das Jugendstrafrecht?: Bei geringen Verfehlungen kann der Jugendrichter Erziehungsmaßnahmen verhängen. Das kann beispielsweise eine Weisung sein, eine Art Strafarbeit zu leisten. In gravierenderen Fällen gibt es Verwarnungen und schärfere Auflagen wie etwa eine Geldbuße und Jugendarrest. Letzterer darf bis zu vier Wochen dauern. Für schwere Vergehen können bis zu zehn Jahre Jugendhaft verhängt werden. Jugendstrafen werden häufig zur Bewährung ausgesetzt.
Welche Delikte sind bei nichtdeutschen Jugendlichen am häufigsten?
Nach der Kriminalitätsstatistik 2006 war Körperverletzung mit 29,5 Prozent am häufigsten Ermittlungsursache vor Ladendiebstahl (22,9 Prozent). Bei deutschen Jugendlichen liegen diese beiden Delikte mit jeweils rund 23 Prozent gleichauf vor Sachbeschädigung (18,9 Prozent). Studien zeigen, dass die Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen mit Herkunft beispielsweise aus der Türkei oder dem früheren Jugoslawien deutlich erhöht ist.
Wirkt es sich positiv aus, wenn die Jugendlichen schon hier geboren sind?
Nein. Gerade die zweite und dritte Generation der Zuwanderer hat eine höhere Kriminalitätsbelastung. "Das Erlebnis fehlender Akzeptanz und Gleichbehandlung mit Deutschen wird als Diskriminierung erlebt und erzeugt Konflikthaltungen", heißt es im Sicherheitsbericht der Bundesregierung. 21 Prozent der rund 7,3 Millionen in Deutschland lebenden Ausländer sind übrigens hier geboren und 62 Prozent leben länger als zehn Jahre in der Bundesrepublik.
Welche Erklärung gibt es für eine höhere Kriminalitätsquote bei nichtdeutschen Jugendlichen?
Wie bei allen jugendlichen Straftätern belasten soziale Probleme und Gewalt in der Familie die Entwicklung. Gerade in zugewanderten Familien kommt diese vor. Hier spielen aber beispielsweise auch noch Vorstellungen von Männlichkeit und Ehre eine Rolle, die zu Konflikten führen. Experten nennen auch immer wieder einen unsicheren Aufenthaltsstatus als einen belastenden Faktor.
Gibt es eine höhere Kriminalität bei Spätaussiedlern?
Hier haben es die Statistiker besonders schwer: Tatverdächtige unter den 1,6 Millionen Spätaussiedlern werden nicht als solche erfasst, denn sie haben einen deutschen Pass. Zudem gibt es in dieser Gruppe überproportional viele junge und männliche Bürger - eine höhere Kriminalitätsbelastung ist also "normal". Deutlich wird aber in verschiedenen Studien, dass es bei jungen männlichen Spätaussiedlern der letzten "Aussiedler-Welle" Mitte der 1990er Jahre eine erhöhte Kriminalität gibt.
Schrecken schärfere Strafen Jugendliche ab?
Nach Ansicht der meisten Experten nicht. Die Rückfallquote von Jugendlichen, die eine Haftstrafe antreten, ist zudem hoch. Schwere strafrechtliche Sanktionen verschlechtern in vielen Fällen nach Ansicht der Experten eher die Prognose. Auch Kurzzeit-Arrest oder andere "Schock"-Maßnahmen helfen offenbar nicht oder nur wenig. Auch die Richter sind dieser Meinung: "Die Formel härtere Strafen gleich höhere Abschreckung gleich weniger Straftaten ist schlicht falsch", so der Vorsitzende des Deutschen Richterbunds, Frank Christoph.
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