Gekocht wird heute auf allen TV-Kanälen: Hobbyköche liefern sich Duelle, und Drei-Sterne-Köche lassen sich in die Töpfe gucken. Alles eine Erfindung unserer Zeit? Nein. Schön viel früher sorgte die Lust am Kochen für allerlei Überraschungen auf dem Teller.
Was hat der berühmte Küchenchef Khnumhotep im Alten Ägypten wohl für seine Herrschaft gekocht? Honigsüßen Gerstenbrei und Ragout aus mit Kreuzkümmel gewürztem Taubenfleisch? Auf offenem Feuer gegrillte Ochsenrippchen zu gedünstetem Lattich? Rohkost aus nussig schmeckendem Zyperngras und als Nachtisch Melonenscheibchen und Traubenkompott?
Speisereste dieser Menüfolge wurden in einem Grab aus dieser Zeit gefunden, doch die Lieblingsrezepte von Meister Khnumhotep kennen wir natürlich nicht. Erwähnenswert ist der Mann trotzdem: In einem 4300 Jahre alten Papyrus wurde er hoch gelobt und betrat damit als erster namentlich bekannter Spitzenkoch die Bühne der Weltgeschichte und der Kochkunst.
Kochkunst ist ein, vielleicht sogar das Thema, das die Völker über alle Grenzen hinweg verbindet. Seit Jahrtausenden werkelt die Menschheit an kulinarischen Methoden, von den ersten, in Grubenöfen geköchelten Suppen bis zur aktuellen »Molekularküche«. Doch wer glaubt, die Kunst des richtigen Kochens und der Kult um Spitzenköche seien Erfindungen der Neuzeit und der modernen Medien, der irrt. Raffiniert gekocht wurde schon immer, wenn auch nicht in unserem Sinne gut. Fast alles haben die Menschen ausprobiert, vieles angeekelt wieder verworfen und dabei immer nach neuen, besseren Geschmackserlebnissen gesucht.
Woher wir das wissen? Aus Grabbeigaben ebenso wie aus verkokelten Speiseresten am Boden mittelalterlicher Töpfe und aus Abfällen in Burggräben, aus alten Papyri, Medizintexten und babylonischen Tontäfelchen, die schon vor 7000 Jahren den Beruf des Kochs rühmten, sowie aus den Memoiren zahlloser Gourmets und natürlich allen voran: aus Kochbüchern.
Die ältesten bekannten Kochbücher der Welt stammen aus Indien und China. Mit unseren modernen Rezeptsammlungen haben sie allerdings wenig gemeinsam. In ihnen geht es auch um erhabene Erkenntnisse, etwas anderes war es nach damaligem Verständnis gar nicht wert, aufgeschrieben zu werden. So liest sich das chinesische »Buch der Riten« streckenweise wie eine Tugendfibel und nicht wie ein Kochbuch.
Auch auf die richtige innere Haltung des Kochs kam es dem Verfasser des 2500 Jahre alten Werks an. Er legte Wert auf die unaufgeregte Sorgfalt, mit der ein Koch das Gemüse putzen und schneiden sollte, und auf die raffinierte Komposition von Gerichten wie den »Acht Köstlichkeiten«. Die Acht ist in der Zahlenmagie des Alten China traditionell die Zahl der Bekömmlichkeit.
Ganz auf Bekömmlichkeit war auch das etwas ältere indische »Vasavarajeyam« abgestimmt: In diesem Sanskrit-Kochbuch wurden Gesundheit und Lebensverlängerung durch die richtige Auswahl und Zubereitung von Speisen zum Ziel der guten Küche erklärt. Ein Gedanke, der ebenso alt ist wie hochmodern. Er zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Kochens. In allen Kulturen und Zeiten sollte gutes Essen immer auch »gesund« sein. Nicht zufällig benutzen wir bis heute das Wort Rezept ebenso für Kochanleitungen wie für ärztliche Verordnungen.
Zurück zu den ersten Kochbüchern: Das früheste bekannte Werk Europas entstand irgendwann zwischen dem 1. und dem 3. Jahrhundert und ist als »Kochbuch des Apicius« bis heute ein Klassiker. Von dem antiken Bestseller kursierten über Jahrhunderte Abschriften, die spannende Einblicke in die altrömische Kochkunst gewährten: auf Stäbchen gegrillte Trüffeln, eingelegt in Honig, Wein und grünes Olivenöl und in der Wursthaut vom Schwein serviert; Zicklein- oder Lammleber, gedünstet in Honigwasser und Milch; gebratene Sauzitzen oder gekochte Flamingozungen, gewürzt mit Salz, Pfeffer, Selleriesamen, Koriander und ausgelösten Myrtenbeeren. Darüber wurde in rauen Mengen die von den Römern heiß geliebte Fertig-Fischsauce gegossen: Garum, der Ketchup der Antike.
Allerdings hat der Namensgeber der Rezeptsammlung kein einziges Gericht selbst gekocht. Marcus Gavius Apicius lebte im 1. Jahrhundert n. Chr., er war einer der reichsten Männer Roms und richtete für seine Freunde legendäre Gastmähler aus. Zeitgenossen erzählten, allein fürs Essen habe er die unglaubliche Summe von 100 Millionen Sesterzen verprasst und aus Unlust, auf den gewohnten Lebensstil zu verzichten, sich mit Gift getötet, als ihm »nur« noch zehn Millionen blieben.
Ob das stimmt, ist ebenso unklar wie die Frage, ob die Feinschmeckerfibel wirklich in der Küche des Apicius aufgeschrieben oder erst zwei Jahrhunderte später von einem anderen Koch verfasst wurde, der sich mit dem berühmten Namen schmücken wollte. Klar ist nur: Die Rezeptsammlung war ein Hit, sie blieb bis weit ins Mittelalter eine Quelle der Inspiration für die Spitzenköche, die in Westeuropa Könige, Fürsten und Kardinäle bekochten. Auch im ältesten bekannten deutschen Kochbuch, »Das Buch von der guten Spis« (erste handschriftliche Auflage aus Würzburg 1350), finden sich umgearbeitete Rezepte des Apicius.
Eiersuppe mit Pfefferkörnern, Safran und Honig; gebratenes Huhn mit Zwetschgen; Stockfisch mit Öl und Rosinen; gerösteter Bückling mit Leipziger Senf; in Schmalz rosa gebratene Singvögel mit Rettichgemüse; Schweinskeule mit Gurken; Reis mit Mandelmilch und Zimt – das ist nur ein winziger Auszug aus der Speisenfolge eines Festessens, das im Jahre 1303 zu Ehren eines gewissen Benno von Zeitz gegeben wurde. Eine Schlemmerei, die sich über zwei Tage hinzog und bei der viele Leckereien aufgetischt wurden, die im Mittelalter als »Herrenspeis« galten, im Unterschied zur »Bauernspeis«. Das bitterarme Volk ernährte sich weitgehend von Getreidepampe, Wurzelgemüse und heimischen Früchten.
Trotz vieler Hungersnöte wurde die Kunst des Kochens auch im »finsteren« Mittelalter gepflegt: in den Klöstern und bei den Feudalherren. Blättert man durch die Rezeptsammlungen aus dieser Zeit, fallen dem modernen Genießer zwei Dinge auf: die große Zahl der Fisch- und Wildgerichte sowie der übertriebene Umgang mit orientalischen Gewürzen wie Safran, Muskat, Piment oder Ingwer.
Fisch war bei den Schlemmern beliebt, weil das christliche Jahr 150 fleischlose Fastentage vorschrieb. Wer es sich leisten konnte, tat sich dann an Karpfen, Forelle oder Aal gütlich. Wildgerichte kamen besonders häufig bei der Elite auf den Tisch, weil die Jagd (auch auf Störche!) ein Privileg des Adels war und die Beute somit als standesgemäßes Essen galt.
Und die starken Gewürze? Damit wollte man den fauligen Geschmack von Gammelfleisch überspielen, so lautet eine Vermutung. Und eine andere: Weil Gewürze – der Gewürzhandel lief gerade erst an – noch extrem teuer waren, galten sie als Statussymbole wie heute Kaviar und Champagner. Um die Gäste an der Tafel zu beeindrucken, war der Koch angewiesen, tief in die Pfefferkiste zu greifen. Auch ein möglicher Grund: Die Gewürze dienten als Biodrogen, mit deren Hilfe sich die mittelalterliche Schickeria in gute Stimmung versetzte. Von Muskat ist bekannt, dass es in hoher Dosis ähnliche Zustände hervorruft wie die Chemiedroge Ecstasy.
»Nimm wilde Brombeeren, die in den Hecken wachsen, und einige gut zerstoßene Mandeln mit ein wenig Ingwer. Dann verdünne mit Verjus (Apfelessig und Wasser) und gib alles durch ein Beutelsieb«, fertig ist die »himmelblaue Sommersauce« für den Mandelpudding. So lautet ein Rezept des Maestro Martino, eines der kreativsten Spitzenköche, welche die europäische Kochgeschichte überhaupt hervorgebracht hat.
Martino war im 15. Jahrhundert Küchenmeister bei mehreren italienischen Kardinälen und früher Vertreter einer Kochrichtung, die wir heute »Nouvelle Cuisine« nennen. Er beließ den Speisen ihren Eigengeschmack, arbeitete viel mit regionalen Produkten, ersetzte die orientalischen Gewürze durch heimische Kräuter und die übersüßten Honigtunken durch aromatische Saucen. Im Gegensatz zu mittelalterlichen Burgküchen wurden bei ihm Speisen nur noch ausnahmsweise zerkocht, zum Beispiel, wenn der Gast keine Zähne mehr hatte.
In einer handgeschriebenen Rezeptsammlung (Liber de arte coquinaria) hat Meister Martino seine Ideen zur feinen Küche weitergegeben. Versehen mit Kommentaren zum kultivierten Benehmen bei Tisch und unter dem geschwollenen Titel »De honesta voluptate« (Von der ehrenhaften Wollust) machte ein gelehrter Feinschmecker namens Platina daraus das erste gedruckte Kochbuch Europas. Ein Bestseller! Auf die erste Auflage (1474) folgen gleich fünfzehn weitere, mehr als Platos gesammelte Schriften, vermerkte ironisch ein Zeitgenosse. Süffisant spottete später der französische Essayist Michel de Montaigne über den neuen Kochkult: So ernsthaft würden Spitzenköche über ihre »Gaumenwissenschaft« dozieren wie Theologen über die großen Fragen der Menschheit.
Ausgehend von Maestro Martino und seinen Kollegen, verwandelten sich die Küchen Italiens zu Laboratorien der hohen Kochkunst. Nirgendwo in der Renaissance Europas wurde so kreativ und aufwendig gekocht wie im Vatikan oder bei italienischen Fürsten, die sich gegenseitig ihre Leibköche abjagten. Dann heiratete die italienische Prinzessin Maria de’ Medici den französischen König Heinrich IV. (1600) und brachte ihre Küchenmeister und deren Know-how mit nach Paris. Wenig später begann zwischen Italien und Frankreich der Konkurrenzkampf um die beste Küche Europas. Ein Wettbewerb, der bis heute nicht entschieden ist.
Doch erst mal holten die Franzosen auf. Rasant entwickelte sich der französische Königshof nicht nur zum politischen Machtzentrum, sondern systematisch auch zum Zentrum des guten Geschmacks. Zu ihren Chefköchen pflegten die französischen Monarchen ein so freundschaftliches Verhältnis, dass ihre Mätressen angeblich eifersüchtig wurden und sich wenig erfolgreich in der Zubereitung von Soufflés versuchten.
Die Küche des sinnenfrohen Barock: Mit den Mini-Portionen unserer heutigen Küche hatte sie nichts im Sinn. Quantität zählte ebenso viel wie Qualität. Das königliche Souper artete oft zur Völlerei aus. Zwar bestand ein Menü traditionell »nur« aus fünf Gängen, doch jeder Gang beinhaltete eine Serie von zehn oder mehr Speisen – so viele, wie die Diener auf dem »Gang« aus der Küche tragen konnten.
Fleisch gab es in allen Variationen, als besondere Delikatesse galten noch immer Singvögel, aber auch Gemüsequiches und raffiniert gefüllte Pasteten, lockere Soufflés, delikate Salatkompositionen und Puddingspeisen. Auf keinen Fall durfte beim barocken Bankett fehlen, was den Höhepunkt der kreativen Küche markierte: ein monumentales »Schaugericht«.
Die Tradition, mit Wachs, Gips und Lebensmitteln nicht essbare Kunstwerke zu inszenieren, geht bis ins Mittelalter zurück. Schon damals haben Köche oft »nur fürs Auge« gekocht. Besonders beliebt: ein gebratener Pfau, mithilfe von echten Federn und blauer Farbe zum lebendig wirkenden Prunkvogel hergerichtet. Ein im Ganzen geschmorter und mit Blattgold überzogener Ochsenkopf. Riesige Pasteten, aus denen lebende Singvögel, Musiker oder Hofzwerge herauskamen. Architektonisch gestaltete Land-schaften und Gärten aus Gemüse und Brot mit Menschenfiguren, Tieren und Pflanzen, die den Gastgeber verherrlichen sollten.
Legendär in der Chronik dieser seltsamen Kunst wurde ein Arrangement, mit dem der österreichische Kaiser Karl VI. die Gäste seiner Krönungsfeier (1711) beeindruckte: einer lebensechten Nachbildung seiner selbst als Herrscher eines Riesenreichs, ganz aus Zucker und Bisquit. Die prachtvolle und zu großen Teilen mit Blattgold überzogene Zuckerwelt wurde von der Wiener Bäckerin Barbara Kanischbauer entworfen und gestaltet, die zu ihrer Zeit eine stadtbekannte Designerin von opulenten Hochzeitstorten war. Sie stellt eine seltene Ausnahme in der Geschichte des Kochens dar, denn über Jahrtausende scheint die Welt der großen Küche eine Männerdomäne gewesen zu sein.
Zwar haben Feinschmecker verschiedener Zeiten immer wieder die Künste ihrer anonym gebliebenen Haushälterinnen gelobt, Frauennamen aber tauchen nur vereinzelt in der Geschichte der Kochkunst auf, darunter der von Philippine Welser, einer schönen und reichen Augsburgerin, die im 16. Jahrhundert das erste große »weibliche« Kochbuch Europas verfasste.
Dann änderten sich die Zeiten. Im 19. Jahrhundert schrieben Frauen für Frauen Kochbücher wie am Fließband. Die deutsche Hauswirtschaftsmeisterin Henriette Davidis veröffentlichte 1845 eine Rezeptsammlung, die über Generationen in keiner deutschen Küche fehlte. Wenige Jahre später kam der Klassiker der amerikanischen Küche heraus: das »Boston Cooking School Book« von Fannie Merrit Farmer. Mit diesen beiden Pionierinnen begann die große Zeit der bürgerlichen Küche praktisch, sparsam, gut. Ihr vielleicht wichtigster Beitrag zur Geschichte der Kochkunst: Sie brachten Klarheit in das bis dahin herrschende Chaos der Kochbücher!
Bevor sich die Frauen der Sache annahmen, sahen die Rezepte über Jahrhunderte so aus: keine exakte Zutatenliste, keine Mengen- und keine Zeitangaben. Die frühen Kochbuchschreiber gingen davon aus, dass ein erfahrener Kollege schon wusste, wie lange ein Hähnchen in gesalzener Butter braten musste oder wie viele Mandelsplitter in eine Brühe gehörten. Zuvor waren nur beim Renaissance-Kultkoch Maestro Martino erste Zeitangaben aufgetaucht. Allerdings nicht zum Ablesen auf einer Uhr, die damals kaum jemand besaß, sondern gemessen an der Dauer eines auf lateinisch gesprochenen Vaterunsers. Drei Vaterunser – und die mit Gemüse gefüllten Teigtäschchen à la Maestro Martino waren al dente.
Im bürgerlichen Zeitalter brachen nicht nur die Frauen in die Geschichte der Kochkunst ein, auch die frisch gebackenen Naturwissenschaftler kamen auf den Geschmack. Systematisch begannen sie im 19. Jahrhundert, die unterschiedlichen Kochvorgänge zu erforschen. Chemiker wandten sich jetzt Fragen zu wie: Was passiert im Inneren eines Lebensmittels, wenn es gegart, gedünstet, gebraten, geschmort wird? Welche Temperatur ist optimal? Welche Menge an Flüssigkeit muss man zum Braten geben?
Mit diesen Recherchen wurden bereits die Anfänge für die heutige Molekularküche geschaffen, die streng wissenschaftlich an das Kochen herangeht und sich als Spitze des kulinarischen Fortschritts begreift.
Was hat unsere Zeit außer den neuartig komponierten Schaumspeisen und Gelees des spanischen Spitzenkochs Ferran Adrià sonst noch hervorgebracht? Unter anderem die Figur des Hobbykochs, mehr ein gesellschaftliches als ein kulinarisches Phänomen. Heute genießen Feinschmecker nicht nur, was andere für sie gekocht haben, sondern schwelgen auch in ihren Hightech-Küchen im Raffinement des eigenen Könnens.
Ganz anders noch der französische Philosoph und Gastrokritiker Brillat-Savarin (1755–1826), eine der feinsten Zungen, welche die Weltgeschichte je hervorgebracht hat. Von ihm ist bekannt, dass er selbst nie eine Pfanne in der Hand gehabt hat. Immerhin verdanken wir ihm die Differenzierung zwischen einem Gourmet (Feinschmecker) und einem Gourmand (Schlemmer) und die Einsicht: »Der wahre Experte unterscheidet am Geschmack des Rebhuhns, ob dieses lieber auf dem rechten oder auf dem linken Bein geschlafen hat.«
Autor(in): Sabine Schwabenthan
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