Wer heute zehn ist, sollte spätestens mit 20 in die Altersvorsorge investieren. Doch weil Geld in Deutschland ein Tabu-Thema ist, wissen viele nicht, wie. Ihnen droht Armut
Es gibt auch in Deutschland Menschen, die nicht genug Geld haben, um für das Alter vorzusorgen. Dieter Frey, Sozialpsychologe an der Universität München, bestreitet das nicht. Doch er ist sicher: Dass in ein paar Jahren ein großer Teil der deutschen Bevölkerung unter Altersarmut leiden wird, liegt nicht daran, dass in den letzten Jahren das reale Einkommen einiger Gruppen geschrumpft ist. Der Grund sei vielmehr, „dass keine Bevölkerungsschicht über die finanzielle Allgemeinbildung verfügt, die man bräuchte, um auch wenig Geld so zu investieren, dass es im Alter reicht“.
Martin Weber, Professor für Finanzwirtschaft an der Uni Mannheim, teilt Freys Einschätzung. Es sei ja nicht so, dass in Deutschland grundsätzlich keine Altersvorsorge getroffen werde. Im Gegenteil: „Die Sparquote ist so hoch wie in kaum einem anderen Land“, weiß der Börsenpsychologe. Auch wer wenig habe, versuche oft genug, davon noch etwas abzuzwacken. Nur beginne er im Zweifel nicht ausreichend früh oder wähle ausschließlich klassische Anlageformen – mit wenig Risiko, „aber eben auch mit wenig Rendite“. Als Folge davon wird das Geld im Alter knapp.
Der finanzielle Analphabetismus der Deutschen führt zu Altersarmut – so lässt sich die These der beiden Professoren, wenn auch etwas überspitzt, formulieren. Über die Ursachen der Misere sind sich beide einig. Die Deutschen verstehen den Finanzmarkt nicht, weil das Thema Geld hierzulande wie in kaum einen anderen Land ein Tabuthema ist. Wer viel hat, schämt sich oft dafür und will keinen Neid erzeugen. Wer wenig hat, schämt sich erst recht - insbesondere dann, wenn ihm seine Ausbildung, wie es bei Akademikern prinzipiell der Fall ist, eigentlich viele Möglichkeiten bot. Während der Lohnzettel in den USA zum gelungenen Smalltalk gehört, gibt es bei uns noch immer Unternehmen, die ihren Angestellten untersagen, die Höhe des Einkommens auch nur zu erwähnen.
Das Schweigen setzt sich anderswo fort. In Schule, Elternhaus und Gesellschaft finden Gespräche über Geld nicht statt. „Mit fatalen Folgen“, wie Helmut Peters, Schuldnerberater der Diakonie in Krefeld und Viersen, immer wieder erlebt. Denn um einen Sachverhalt begreifen zu können, das haben Lerntheoretiker schon vor Jahrzehnten bewiesen, muss man über ihn reden oder – besser noch – andere dabei beobachten, wie sie mit ihm umgehen.
Wer lernen will, sein Geld sinnvoll zu nutzen, muss den besten Freund nach der Höhe seiner Erbschaft fragen, und wie er sie investiert. Er muss wissen wollen, wie hoch die Gewinne des Kollegen am Aktienmarkt sind und wie er sie erreicht hat.
Fakt jedoch ist, dass selbst Ehefrauen sich häufig nicht trauen, nach dem genauen Einkommen des Partners zu fragen. Und erst recht nicht, wie viel davon in die Altersvorsorge investiert wird. „Ich bin einfach davon ausgegangen, dass mein Mann das macht“, erklärt Mona Behrmann*. Umso größer war die Überraschung, als sie erfuhr, dass ihr Mann, Banker von Beruf, zwar für sich Vorsorge getroffen hat, ihr im Falle einer Trennung aber kaum etwas bliebe. Dabei brachte die studierte Kommunikationswissenschaftlerin einen Großteil des Familieneinkommens nach Hause, bevor sie für die Kinder zu Hause blieb. Sie ist keineswegs ein Einzelfall.
Vielen Frauen geht es so, sagt Monika Müller, Diplom-Psychologin und Finanzcoach aus Wiesbaden. Ihre Männer handelten oft gar nicht aus böser Absicht. Sie wüssten es nicht besser und verführen einfach nach dem traditionellen Familienmodell, aus dem folgt, dass der Mann im Mittelpunkt der Altersabsicherung stehe. „Dass man die Vorsorge auch so gestalten könnte, dass am Ende beide Partner gleich dastehen, wird nicht einmal diskutiert.“
Doch wie soll man in der Partnerschaft über Geld reden und vielleicht sogar Forderungen stellen, wenn man es nirgendwo gelernt hat? In den Schulen kommt Geld – wenn überhaupt – in den ersten Klassen vor, wenn es darum geht, Rechnen zu lernen. Mit der Frage, wie man seine Finanzen verwaltet, beschäftigen sich die Lehrpläne aber nicht. Auch in der Ausbildung der Lehrer kommt sie in der Regel nicht vor. Im Elternhaus herrscht ebenfalls Schweigen. Kaum jemand spreche mit seinen Kindern über die Höhe des Haushaltseinkommens, etwaige Reserven oder die eigene Altersvorsorge, beobachtet Müller.
Die Folge: Viele junge Menschen sind sich durchaus bewusst, dass sie vorsorgen müssten, doch sie wissen nicht, wie. Schon gar nicht kommen die Familien auf die Idee, sich gemeinsam zu beraten. „Welcher Student käme auf die Idee, seine Eltern und Großeltern aufzufordern, mal einen Finanzplan für das Gesamtvermögen der Familie aufzustellen?“, fragt Expertin Müller. Dabei gäbe es in vielen Familien eine Großelterngeneration, die über ausreichend Rücklagen verfüge, um beispielsweise das Studium der Enkelin mit einem zinslosen und vielleicht auch nicht vollständig rückzahlbaren Investitionskredit zu unterstützen. Doch statt das zu erwägen und genau nachzurechnen, müssen die Jungen jobben. Dadurch aber verlängert sich nicht nur das Studium, sondern auch der Zeitpunkt, an dem überhaupt mit der Altersvorsorge begonnen wird - verlorene Zeit und verlorenes Geld.
Dabei wird es dringend Zeit umzusteuern. Wer zwischen 1959 und 1973 geboren ist und mit 65 in Rente gehen möchte, so meldete erst kürzlich das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln, hat bis zum Ruhestand im Schnitt 26.000 Euro zu wenig gespart, um im Alter sorgenfrei leben zu können. Noch schlimmer ist die Lage der Jüngeren. „Wer heute zehn Jahre alt ist“, stellt Psychologin Müller klar, „muss mit 20 genau wissen, wie er für sein Alter vorsorgen will.“ Doch das kann er nur, wenn er das Geld-Tabu durchbricht.
Einfach ist das nicht, das gibt auch Müller unumwunden zu. Wer seine Einstellung zu diesem Thema ändern will, muss sich auch die Frage stellen, welche Gefühle hinter scheinbar rationalen Entscheidungen stehen und woher die Verhaltensmuster kommen, die den eigenen Umgang mit Geld prägen. Vor allem aber: Er muss anfangen, sich mit finanziellen Fragen ernsthaft auseinanderzusetzen.
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