Jahrelang war er ein Auslaufmodell weiblicher Begierde: der Macho – abgelöst vom Softie. Doch jetzt kehrt er mit voller Kraft zurück: Vom Rapper bis zum Staatschef berufen sich immer mehr Männer auf ihre klassische Geschlechterrolle. Wieso?
Michael Lehanan rief angeblich noch »Achtung, hinter dir!« Aber da war es schon zu spät. Der über 500 Kilogramm schwere Bulle rammte Michaels Bruder Lawrence ein Horn ins Gesäß, mit dem anderen erwischte er Michaels rechtes Bein. Die Brüder – beide Amerikaner – kamen schwer verletzt ins Krankenhaus.
Das war am 12. Juli 2007 bei einer der berühmtesten Mutproben der Welt, dem Stierlauf in der nordspanischen Stadt Pamplona. Seit 400 Jahren werden anlässlich des San-Fermin-Festivals (immer vom 6. bis zum 14. Juli) jeden Morgen um Punkt acht Uhr sechs Kampfstiere durch die engen Gassen der Altstadt zur Arena getrieben. Eine große Menschenmenge schaut zu, aber einige besonders waghalsige Männer springen über die Barriere und liefern sich mit den Stieren ein riskantes Wettrennen, das sie kaum gewinnen können, weil die Tiere mehr als 25 km/h Geschwindigkeit erreichen.
Die Männer wollen damit demonstrieren, dass sie »cojones« haben (das spanische Wort für »Eier« in der eher vulgären Bedeutung) – eine Umschreibung für mutiges Verhalten. Der Schriftsteller Ernest Hemingway hat den Stierlauf von Pamplona 1926 in seinem Roman »Fiesta« weltberühmt gemacht. Seitdem reisen jedes Jahr Tausende von Fans, so genannte »Aficionados«, nach Pamplona, um sich der Herausforderung zu stellen. Die beiden Brüder aus den USA waren ebenfalls nach Spanien gekommen, um zu demonstrieren, was für harte Kerle sie sind. »Du kannst auf der Couch sitzen und zuschauen, wie das Leben an dir vorbeigeht«, sagte Michael Lehanan nach dem Unfall. »Oder du gehst raus und nimmst die Sache selbst in die Hand. Wenn das bedeutet, ein Stierhorn ins Bein gerammt zu bekommen, gehört das eben dazu.«
Ein typischer amerikanischer Macho-Spruch. In Europa hat man solche Aussagen dagegen schon lange nicht mehr gehört: Im Rahmen der Emanzipation drohten die Machos auszusterben. Aber jetzt sind sie plötzlich wieder da, sozusagen durch die Hintertür, nur dass man sie jetzt statt »Machos« politisch korrekt »hypermaskuline Männer« nennt.
In Deutschlandverhalten sich junge männliche Migranten besonders häufig hypermaskulin. Fachleute sprechen von »Moslem-Machos«, in deren Subkultur Ehre und Gewalt, auch gegen Frauen (»Ehrenmorde«), eine besondere Rolle spielen. In einer Langzeitstudie zum Thema Jugendgewalt in deutschen Großstädten hat das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen festgestellt, dass zum Beispiel in Stuttgart die Türken 12,7 Prozent der Befragten und 14,4 Prozent der Opfer – aber 44,3 Prozent der Täter stellten. Das ist aber nicht nur in Schwaben so, sondern ein bundesweiter Trend. Insgesamt hat jeder zehnte türkische Junge mehr als fünf Gewaltdelikte begangen und gilt als Mehrfachtäter. Bei den Jungen aus dem ehemaligen Jugoslawien ist es jeder zwölfte, bei Aussiedlern aus den GUS-Staaten jeder 15. (bei den Deutschen jeder 33.).
Der Grund für das gewalttätige Macho-Verhalten ist auch bekannt. Viele der Täter waren als Kind Opfer schwerer innerfamiliärer Gewalt: Jeder dritte türkische Junge wird zu Hause körperlich gezüchtigt. Hinzu kommen häufig Belastungen wie Lehrstellenmangel und Arbeitslosigkeit, aber auch der schwierige Spagat der jungen Männer zwischen der heimischen Kultur in der Familie und der deutschen Realität außerhalb der eigenen ethnischen Gruppe. Mit ihrem Macho-Gehabe wollen die Jugendlichen ihre sozialen Probleme übertünchen, sagt die Kölner Pädagogin Susanne Spindler: »Körperlichkeit ist wichtig – extremer Kampfsport, Bodybuilding, Tätowierungen, Kampfhunde. In einer Karriere im Drogengeschäft finden sie einen Ersatz für gesellschaftlichen Erfolg.«
Auf diese Art ist der Macho wieder zurückgekehrt in die deutsche Gesellschaft. Rapper wie der Berliner Bushido oder sein Kollege Sido veröffentlichen gewaltverherrlichende und frauenverachtende Macho-Texte – und zwar nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit, sondern auf den Spitzenplätzen der Hitparaden. Das hat weiter reichende Folgen als das Macho-Gehabe in den Subkulturen der Türken, Russlanddeutschen oder Ex-Jugoslawen, das kaum Einfluss auf die Gesamtbevölkerung nimmt. Aber wenn Prominente wie Bushido Macho-Attitüden an den Tag legen, traut sich das der Mann aus der Mittelschicht ebenso. Diese »Multiplikatoren« (Vorbilder, die eine bestimmte Verhaltensweise propagieren) können Trends setzen und verändern.
Der neue Macho-Kult ist auch schon im Verhalten von Stars, Sportlern und Politikern zu beobachten. Der Pop-Sänger Robbie Williams etwa legt großen Wert auf das Image des Frauenhelden. Boris Becker machte seine Besenkammer-Bekanntschaft Angela Ermakova mit seiner animalischen Ausstrahlung schwach. »Aus ihm strömte eine Wahnsinnsenergie, eine wilde Kraft. Er ist wirklich wie ein junger Hengst«, sagte die Russin, deren Tochter Anna ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten ist.
Auch in der Politik gab es eine Veränderung hin zur demonstrativen Männlichkeit. Vorbei die Zeiten, da Winston Churchill mit der Zigarre in der Hand übergewichtig verkündete, Sport sei Mord, und Helmut Kohl seine beträchtliche Wampe in der Sommerfrische am Wolfgangsee in eine Strickjacke packte. Die neuen Führer sind von anderem Kaliber: George W. Bush (USA), Nicolas Sarkozy (Frankreich) und vor allem Wladimir Putin (Russland) sind die Vorreiter einer neuen hypermaskulinen Welle. Sarkozy zeigt sich in Jeans hoch zu Ross, joggt zum Elysée-Palast und jagt mit dem Motorboot waghalsig über den tosenden Atlantik. George W. Bush inszeniert sich gern als Rancher im Cowboy-Hemd und als Bomberpilot. Aber Wladimir Putin schlägt alle: Mit nacktem Oberkörper präsentiert er seine Muskeln – und seine Angelrute, symbolträchtig auf Genital-höhe nach oben gereckt. Auf einem anderen Foto sieht man ihn wie Rambo durch die Steppe Sibiriens streifen, Gewehr im Anschlag: Fit for Gun.
Für Evolutionspsychologen ist dieses Verhalten nichts anderes als die moderne Form uralter archaischer Rituale, mit denen Männer ihren Marktwert erhöhen wollen. »Um Macht, Status und Besitz zu erlangen, mussten Männer von jeher einen Einsatz bringen, unter anderem Mut, Kampfbereitschaft und Risikofreude. Nur wer wagte, konnte gewinnen», erklärt der Kasseler Professor Harald Euler. Als Evolutionspsychologe geht er davon aus, dass der Mensch, wie alle anderen Lebewesen auch, im Endeffekt nur ein Ziel verfolgt: Nachkommen zu zeugen und sich dadurch in die Zukunft fortzupflanzen. Euler weiter: »Da der mögliche Gewinn (viele Frauen, viele Nachkommen) hoch war, war auch der Einsatz hoch. Tatkräftige Helden hatten, sofern sie die Bewährung überlebten, immer Glück bei den Frauen, Faulenzer und Verlierer nicht. Weil die Männer am vorläufigen Ende eines evolutionären Auswahlverfahrens stehen, scheuen Jungen und junge Männer auch heute noch keinen Wettbewerb, sind ehrsüchtig, setzen körperliche Gewalt ein und riskieren in gewagten Unternehmungen oft irrational Kopf und Kragen.«
Wenn das übertrieben stattfindet wie bei den Lehanan-Brüdern, reden Anthropologen von einem hypermaskulinen Verhalten und bezeichnen solche Männer als Machos. Diese stehen unter dem inneren Zwang, ständig ihre Männlichkeit zu demonstrieren, besonders durch körperliche und sexuelle Aggressivität. Die amerikanischen Macho-Forscher Silvan Tomkins und Donald Mosher definieren »Machismo« als »ein System von Ideen, die ein Weltbild der männlichen Überlegenheit formen. Machos gehen davon aus, dass Männlichkeit, Potenz und Körperlichkeit den idealen Mann ausmachen, der als Krieger in einer feindlichen Welt um knappe Ressourcen kämpft wie zum Beispiel Frauen«.
Seit Mitte des letzten Jahrhunderts hatten die Männer allerdings Probleme, ihr hypermaskulines Steinzeit-Verhalten auszuleben. Der Macho kam bei den inzwischen emanzipierten Frauen nicht mehr gut an. Das belegte die Männerforschung, die in diesen Jahren sehr intensiv begann – und die vorrangig von Frauen betrieben wurde, die das männliche Imponiergehabe als peinlich, wenn nicht als gefährlich betrachteten. Die Forscherinnen wiesen darauf hin, dass fast alle Kriege in der Geschichte der Menschheit und die Mehrzahl der Morde auf das Konto von Machismo gehen. Männliches Verhalten sei aber nicht nur für die Menschheit insgesamt schädlich, sondern ebenso für die Individuen. Frauen würden durch hypermaskuline Männer überdurchschnittlich stark unterdrückt – und auch der Macho schade sich durch sein Männlichkeitsideal von Härte, Leistung, Konkurrenz und Pokerface. Unter dem ständigen Erfolgsdruck werde er krank (Herz/Kreislauf, Krebs), verdränge seine Gefühle und verliere dadurch letztendlich sogar seine Menschlichkeit.
Das wollte die Mehrheit der Männer selbstverständlich nicht und versuchte, den Macho-GAU durch angepasste Verhaltensweisen zu verhindern. In dieser Zeit sah man Männer stricken und häkeln – als äußeres Symbol ihrer Integrationsfähigkeit. Viele gingen sogar dazu über, ihr Wasser nicht mehr im Stehen zu lassen, sondern sich wie ihre Partnerinnen auf die Klobrille zu hocken. Frauenversteher waren in Mode und jegliches Macho-Gehabe verpönt.
Die Frauen beobachteten diese Veränderung mit zwiespältigen Gefühlen. Als Ehepartner fanden sie die neuen, »weichen« Männer zwar gut – da schätzten sie es, einen Mann an ihrer Seite zu haben, der das schwierige Geschäft der Kinderaufzucht mit ihnen teilt, ohne sich ständig in gefährliche Abenteuer zu verstricken. Als Kindsvater aber bevorzugten die Frauen dann doch wieder die eher maskulinen Typen: Die beiden schottischen Biologen Robert P. Burriss und Anthony C. Little haben letztes Jahr nach einer umfangreichen Testreihe herausgefunden, dass selbst emanzipierte Frauen an ihren fruchtbaren Tagen ein Faible für Macho-Männer haben.
Auch das ist ein uralter Steinzeit-Instinkt. Bei der Wahl des Vaters für ihre Kinder orientieren sich die Frauen am so genannten »Handicap-Prinzip«. Als Sexualpartner attraktiv wird derjenige, der es sich leisten kann, völlig verrückte Risiken einzugehen – analog zum Hirsch mit dem größten Geweih. Eigentlich ist er durch das Monstrum auf seinem Kopf gehandicapt, aber gerade deshalb beeindruckt er die Hirschkuh: Denn wer es sich leisten kann, ein so gigantisches Ding auf dem Kopf herumzuschleppen, der muss richtig gute Gene haben. Ähnlich läuft es beim Menschen: Während ihrer fruchtbaren Tage bevorzugen Frauen Männer, die es sich leisten können, mit zentnerschweren Bullen durch die Altstadt von Pamplona zu rennen.
Und woran erkennt man den Macho im Alltag? Hypermaskulin ist, wer nach den sieben Geboten der Machos lebt, wie sie der amerikanische Psychotherapeut Herb Goldberg formuliert hat: »Je weniger Schlaf ich benötige; je mehr Schmerzen ich aushalte; je mehr Alkohol ich vertrage; je weniger ich mich darum kümmere, was ich esse; je weniger ich von jemandem abhängig bin; je mehr ich meine Gefühle kontrolliere; je weniger ich auf meinen Körper achte – desto männlicher bin ich.« Soziologen und Psychologen haben wissenschaftlich objektiviert, was passiert, wenn Männer zu Machos werden: Machos lernen, ihre Gefühle zu unterdrücken, bis sie als Wut hervorbrechen (»Jungen weinen nicht, sie flippen aus«); Furcht wird verdrängt und mit Erregung überspielt (»Echte Männer suchen die Gefahr«); Stolz tritt an die Stelle von Scham (»Ich bin stolz, Deutscher zu sein«); Rache ersetzt soziale Interaktion (»Auge um Auge, Zahn um Zahn«); Überraschung wird eingesetzt, um andere einzuschüchtern (Machos lieben es, als unberechenbar zu gelten); übertriebene Begeisterung ersetzt entspannte Freude (Machos lieben den Triumph).
Um die hypermaskuline Psyche dingfest zu machen, haben Macho-Forscher sogar ein Messinstrument entwickelt: Der »Hypermasculinity Inventory« (HMI) genannte Test ermittelt, wie stark jemand Gewalt als notwendig, Sex als Besitzanspruch, Gefahr als erregend und Härte als Instrument der Selbstkontrolle empfindet – alles Macho-Einstellungen. Der HMI besteht aus 30 Fragen wie diesen:
1a) Mach eine Frau betrunken oder high, und sie tut, was du willst. – 1b) Es ist ekelhaft und unfair, eine Frau betrunken zu machen, um mit ihr Sex zu haben. Wähle eine Aussage.
2a) Nach einer wirklich gefährlichen Situation werden meine Knie weich, und ich zittere. – 2b) Nach einer wirklich gefährlichen Situation fühle ich mich total high. Wähle eine Aussage.
Aber auch ohne Test sind Macho-Männer leicht zu erkennen. Ihr interpersonales Verhalten ist dominant, wettbewerbsorientiert, misstrauisch, kalt und feindlich. Machos trinken mehr Alkohol und konsumieren öfter illegale Drogen als andere Männer. Sie sind häufiger in gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und haben öfter Kontakt mit der Polizei. Die Bedeutung der Liebe spielen sie herunter und betonen die Wichtigkeit von Sex. Verhütung halten sie für Frauensache und Kondome für unmännlich. Ihre sexuellen Fantasien drehen sich um Unterdrückung und Dominanz, sie träumen von Gruppensex, jungen Mädchen und der Verletzung sexueller Tabus. Einige wünschen sich Zuschauer beim Geschlechtsverkehr, andere könnten sich vorstellen, als männliche Stripper aufzutreten. Macho-Männer empfinden Frauen als persönlichen Besitz, der bei Bedarf sexuell zur Verfügung zu stehen hat. Wenn Machos betrunken sind, werden sie oft aggressiv.
Etwa jeder dritte Mann ist nach diesen Vorgaben ein potenzieller Macho, auch wenn nicht jeder alle der beschrieben Verhaltensweisen an den Tag legt. Und es werden immer mehr. Den Hamburger Kulturwissenschaftler Professor Dietrich Schwanitz, Autor des Buches »Männer: Eine Spezies wird besichtigt« hat das überhaupt nicht gewundert: »Der Mann fühlt sich in der Zivilisation einfach nicht heimisch. Ihm das vorzuwerfen hieße, einem Büffel darüber Vorhaltungen zu machen, dass ein Antiquitätenladen nicht seine natürliche Umwelt darstellt.«
Im Internet zirkulieren unterdessen »Männergesetze«. Einige sehen die Angelegenheit lustig und postulieren zum Beispiel diese Regel: »Unter keinen Umständen teilen sich Männer einen Regenschirm.« Oder: »Es gibt keinen Grund für Männer, Eistanz, Synchronschwimmen oder Bodenturnen im Fernsehen anzuschauen.« Oder: »Nicht die schwächste Blase bestimmt bei einem Männerausflug die Pinkelpausen, sondern die stärkste.«
Andere nehmen die Sache ernster, sie wollen nämlich damit Geld verdienen. »Es gibt immer häufiger Anzeigen und Fernsehspots, in denen es um die Frage geht: ›Wie sollen Männer sein?‹«, sagt Rose Cameron von der Werbeagentur Leo Burnett in Chicago. »Männer schreiben die Regeln dafür jetzt neu und wollen mit ihren Männergesetzen die Kontrolle zurückgewinnen.« Den einen oder anderen Vorteil bringt der Machismo ja tatsächlich. Einer davon ist die schnellere Wundheilung – kein Witz, sondern das Ergebnis einer Studie der amerikanischen University of Missouri-Columbia. »Ausgerechnet eine psychische Grundhaltung«, so der Psychologe Glenn Good, »die Männer in riskante Situationen bringt oder diese suchen lässt – durch gefährliche Berufe oder Extremsport –, hilft, dass sie sich von den möglichen Konsequenzen ihres Verhaltens schneller erholen.«
Auch die Lehanan-Brüder haben ihren hypermaskulinen Ausflug nach Pamplona gut überstanden. Was sie aus dem Unfall gelernt haben? »Nächstes Jahr«, erklärten die beiden noch in der Klinik, »gehen wir definitiv wieder hin.« Macho ist eben, wenn die Cojones gegen die Vernunft gewinne
Autor(in): Michael Kneissler
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